Zusammenarbeit ist kein normales Investitionsgut, von dem man einfach mehr oder weniger kaufen kann. Zusammenarbeit ist die Folge eines Organisationsdesigns, das durch Anreize, Strukturen, Führung, Abläufe und eine gelebte Kultur die Mitarbeiter zur Zusammenarbeit befähigt und motiviert – oder eben nicht. Die folgenden Ausführungen basieren auf dem sehr empfehlenswerten Buch „The Modern Firm“, in dem Autor John Roberts aktuelle Erkenntnisse der sogenannten Neuen Institutionenökonomik anschaulich auf die praktischen Fragestellungen moderner Unternehmen anwendet. Ein sehr verbreitetes Modell in diesem Forschungsbereich ist die Principal-Agent-Theorie, die einen Erklärungsansatz für das Handeln von Menschen innerhalb einer Hierarchie bietet. Im Kern geht es dabei um das Verhältnis eines Vorgesetzten (Principal) zu einem Mitarbeiter (Agent).
Mitarbeiter zwischen Initiative und Kooperation
Nähern wir uns diesem Verhältnis unter dem Gesichtspunkt der Zusammenarbeit, dann wünscht sich eine Organisation von Ihren Mitarbeitern zwei grundsätzliche Verhaltensweisen: Initiative und Kooperation.
Initiative bezieht sich auf die bestmögliche Erfüllung der (messbaren und selbst direkt beinflussbaren) eigenen Ziele und Verantwortlichkeiten, wie neue Produkte entwickeln, Kosten senken oder mehr verkaufen. Kooperation stellt das Gemeinwohl der Organisation in den Vordergrund, wie die (uneigennützige) Hilfe für andere Bereiche oder Beiträge für die Organisation als Ganzes. Die kooperativen Verhaltensweisen könnten auch als Teil der eigenen Initiative gesehen werden, sie sind aber meist als Ziel nicht klar zu definieren oder zu messen – man kann daran appellieren, sie aber nicht wie persönliche Ziele einfordern und nachhalten. Die Herausforderung, die sich jetzt stellt, heißt in der Principal-Agent-Theorie Multi-Tasking: ein Mitarbeiter hat zwei mögliche Verhaltensweisen und wird sich vor allem auf diejenige konzentrieren, die ihm die höchstmöglichen Anreize bietet. Eine Organisation steht nun vor der Aufgabe, durch Anreize das erwünschte Verhalten bestmöglich zu steuern.
Die Steuerung von Initiative und Kooperation erfolgt nicht nur über eindeutige Ziele und leistungsorientierte Bezahlung, sondern beinhaltet ein breites Set an Faktoren, die im Rahmen eines Organisationsdesigns alle aufeinander abgestimmt werden müssen. Eine Organisation, die in ihrer primären Ausgestaltung vor allem auf Initiative setzt, könnte folgendermaßen aussehen:
- Eigenständige organisatorische Einheiten von überschaubarer Größe
- Klare Gesamtstrategie und abgestimmte unternehmensübergreifende Policies
- Die Leiter der einzelnen Einheiten haben weitgehende Entscheidungsbefugnisse, aber werden auch klar an ihren Ergebnisse gemessen
- Weniger Hierarchieebenen in der Gesamtorganisation
- Starke individuelle Anreize zur Zielerreichung in den einzelnen Einheiten
- Zentralisierte Informationssysteme, die ein einfaches Monitoring und Reporting über die einzelnen Einheiten erlauben
Dieser grundsätzliche organisatorische Ansatz einer Dezentralisierung hat sich als sehr wettbewerbs- und leistungsfähig herausgestellt und ist heute in vielen Unternehmen anzutreffen. Entscheidungen werden schnell und nah am Markt und Kunden getroffen und jeder sieht unmittelbar die Auswirkungen seines Handelns. Ein Beweis der Dominanz dieses Ansatzes ist auch der Verbreitungsgrad der variablen Vergütung in den Unternehmen. Zitat aus einer aktuellen Studie zum Thema:
Fast alle Unternehmen (92%) vergüten variabel und tun dies mehrheitlich bereits seit über zehn Jahren. Dabei ist der Bonus, also die von der Erreichung bestimmter Ziele abhängige variable Vergütung, die mit Abstand beliebteste Variante. Die Mehrheit erwartet für die Zukunft eine weitgehend unveränderte Höhe der variablen Vergütung; immerhin ein Drittel geht sogar von einem Anstieg aus. (Quelle: Studie der Hay Group, Bertelsmann Stiftung und Wiesbaden Business School, 2011)
In einer solchen Ausgestaltung kann jedoch nur eingeschränkt mit kooperativer Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Einheiten gerechnet werden. Schwierig werden hier Innovationen, die eine Zusammenarbeit der verschiedenen Bereiche erfordern oder ein gemeinsamer koordinierter Marktangang, um Cross Selling Potentiale maximal zu nutzen.
Die Frage ist also, wie kann der Initiative die richtige Portion Kooperation beigemischt werden?
1. Lösung über Anreize und das Problem des Sozialen Dilemmas
Wer in seiner Stellenbeschreibung sowohl Elemente der Initiative und Kooperation stehen hat (wie wohl die meisten) wird sich fast immer einem Anreizsystem gegenübersehen, dass Initiative belohnt, denn die ist als Umsatz, Gewinn, Innovation, etc ,besser zu messen und zuzuordnen. Kommen kooperative Elemente zu diesem Anreizsystem dazu, wie z.B. der Gesamtumsatz über alle Einheiten, dann ist es meist besser, egoistisch zu sein und den Teil zu optimieren, den man selbst in der Hand hat und den gemeinschaftlichen Teil als „Trittbrettfahrer“ mitzunehmen. Hier lauert also leider ein soziales Dilemma, das in der Ökonomie auch genau so heiß und eine riesige Herausforderung für alle kooperativen Absichten, wie z.B. auch das Wissensmanagement ist:
1. Jeder Beteiligte erhält durch eine nicht-kooperative Handlung einen höheren Gewinn als durch eine kooperative Handlung, und
2. alle Beteiligten sind insgesamt besser gestellt, wenn sie kooperieren, als wenn jeder die egoistische Wahl trifft.
Der Effekt verschwindet erst, wenn z.B. der Gesamtumsatz den allergrößten Anteil ausmacht, aber dann sind wir schon mitten in einem kooperativen Modell, mit deutlich verringerten individuellen Anreizen. Das soziale Dilemma macht es sehr schwer, aus Anreizsicht einen einfachen Mittelweg zwischen Initiative und Kooperation zu finden.
2. Lösung über individuelle Anreize in der Zusammenarbeit
Einen Ausweg aus diesem Anreizdilemma sieht der Kollaborationsforscher Morten Hansen (mehr zu seinem Modell kommt im 4. Teil dieser Serie) in individuellen Anreizen zur Zusammenarbeit. So sollen z.B. am Ende eines Geschäftsjahres, Manager von Ihren Kollegen auf gleicher Ebene in Bezug auf die gezeigte Kooperationsbereitschaft bewertet werden. Der Ansatz klingt einleuchtend, wird aber in der Umsetzung viele Detailfragen aufwerfen:
- Individuelle Meinungen, was gute Zusammenarbeit bedeutet,
- u.U. sehr subjektive Urteile, die sich evt. nur auf wenige Situationen beziehen und vor allem durch die allgemeine Qualität der Beziehungen zwischen den Managern geprägt sein könnten
- Keine Transparenz bei der Leistungsmessung
- „Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus.“
3. Lösung ohne Anreize, denn Menschen wollen doch kooperieren!?
Der Mensch ist ein kooperatives Wesen und grundsätzlich gern bereit auch außerhalb von Anreizmechanismen zu kooperieren. Aber auch dies geschieht nicht ohne Vorbedingungen. Kooperationsbereitschaft basiert auf der Beziehung von Menschen und diese stellt sich nicht automatisch ein, nur weil zwei Menschen Mitarbeiter des gleichen Unternehmens sind. Joachim Bauer erläutert in seinem Buch „Prinzip Menschlichkeit. Warum wir von Natur aus kooperieren.“ dazu fünf Voraussetzung für eine zwischenmenschliche Beziehung:
1. Sehen und Gesehen werden (nicht nur im Wortsinn, sondern auch im übertragenem Sinn)
2. Gemeinsame Aufmerksamkeit gegenüber etwas drittem
3. Emotionale Resonanz
4. Gemeinsames Handeln
5. Wechselseitiges Verstehen von Motiven und Absichten
Gute Beziehungen sind also Arbeit und beim Studium der Liste wird schnell klar, dass auf natürliche Kooperationsreflexe in einer großen Organisation nicht allein Verlass sein kann. Es ist auf Dauer nicht sinnvoll, diese Zusammenhänge zu ignorieren und z.B. an den Altruismus der Mitarbeiter zu appellieren: „Wir haben zwar eine dezentralisierte und stark wettbewerbsorientierte Organisation geschaffen, wir möchten aber trotzdem gern, dass ihr alle übergreifend zusammenarbeitet.“
Eine spannende Frage ist sicherlich, inwieweit Web 2.0 Technologien die Beziehungsbildung über elektronische Wege deutlich vereinfachen. Beim Blick auf die obige Liste kann man sich vorstellen, dass die Punkte 1 und 4 durchaus sehr positiv von den Ansätzen des „Menschen im Mittelpunkt“ und der einfachen Benutzbarkeit von Web 2.0 Plattformen beeinflusst werden.
4. Lösung durch organisatorische Flexibilität
Wenn Experten wirklich zusammenarbeiten sollen, wenn es um viel geht, dann müssen sie auch in der Anreizlogik zusammengebracht werden. Zusammenarbeit findet dann vor allem innerhalb der einzelnen Einheiten statt, wenn diese klein genug sind, um alle Mitarbeiter vor allem mit Teamzielen zu motivieren. Es entstehen also viele kleine Kooperationszentren innerhalb einer Organisation. Managementguru Fredmund Malik sieht das ständige Reden über bereichsübergreifendes Arbeiten als Symptom schlechter Organisationen und schlussfolgert:
„Die Organisation stimmt dann, wenn möglichst wenig bereichsübergreifendes Arbeiten notwendig ist“ (Führen Leisten Leben, S.198)
Das absolut perfekte Organisationsdesign ist nicht der entscheidende Faktor. Wachstum und externe Einflüsse wie Konkurrenz- und Marktsituation erzeugen so viel Dynamik, dass ein Wettbewerbsvorteil vor allem aus der Fähigkeit entsteht, das Organisationsdesign regelmäßig anzupassen. Wandel (der für eine Organisation und ihre Mitglieder auch immer anstrengend ist!) als Normalfall, der grundsätzlich akzeptiert und gelebt wird. So kann Kooperation immer dort erzeugt werden, wo sie am dringendsten benötigt wird. Dazu sorgen Reorganisationen für einen besseren Wissensaustausch und stärken bereichsübergreifende persönliche Netzwerke. Ein dritter Punkt ist die Förderung kooperativer Verhaltensweisen, denn wer weiß schon genau, mit wem er im nächsten Jahr kooperativ zusammenarbeiten wird?
Konsequenzen für IT Systeme
Es mag auf den ersten Blick sinnvoll sein, einer dezentralisierten Organisation ein übergreifendes Wissensmanagement Tool als kooperative Komponente zu verordnen. Diese Wissensplattform hat jedoch keine Chance, weil sie komplett den tatsächlichen Anreizen zur Zusammenarbeit wiederspricht. Geschlossene Bereiche für die teaminterne Zusammenarbeit und Dokumentation in Enterprise Wikis oder Social Business Suites sind aus unserer Erfahrung die erfolgreichsten Anwendungsfälle für Social Software im Unternehmen. Neben anderen Gründen wie dem geschützten Raum, in dem sich auch weniger extrovertierte Mitarbeiter wohler fühlen, ist der wichtigste Grund sicher die passende Anreizstruktur: eine Gruppe ist im kooperativen Modus zum selben gemeinsamen Ziel unterwegs. Eine optimale Plattform sollte deshalb zwei grundsätzliche Aufgaben erfüllen:
1. Zusammenarbeit da unterstützen, wo gewünscht und gebraucht. Kein Zwang zur Offenheit, sondern bewusste Abgrenzung eines kooperativen Zentrums auch im System durch Berechtigungen, eigene Navigationspunkte, evtl. sogar ein begrenzt individuelles Layout, etc. Diese Funktion unterstützt die sogenannten „starken Verbindungen“, die strong ties.
2. Anhand der Informationen, die jemand im kooperativen Modus preisgibt, soll eine Findbarkeit des Wissens und insbesondere des zugehörigen Mitarbeiters auch organisationsweit hergestellt werden. Die Unterstützung der weak ties. Nutzer hinterlassen während ihrer Arbeit Spuren, aus denen sich automatisch ein aggregiertes Skillprofil ergibt. Wenn alle Arbeitsräume geschlossen sind, dann wird das sicherlich schwierig. Wichtig sind also zusätzliche übergreifende Diskussionsräume, die jedoch nicht automatisch aus der Arbeit selbst entstehen und deshalb entsprechend intensiv betreut und moderiert werden müssen, wenn sie langfristig Bestand haben sollen. Andererseits ist es auch denkbar, bestimmte aggregierte Informationen aus geschlossenen Räumen allen Mitarbeitern zugänglich zu machen (z.B. die Information, dass es einen Gruppenraum gibt, obwohl der Nutzer keinen Zugriff hat).
Fazit
Die aktuelle Enterprise 2.0 Diskussion ist besessen von der Erschließung der schwachen Beziehungen im Unternehmen. Fast die komplette Wertschöpfung und Innovation kommt aber aus bestehenden Teams, die optimal miteinander arbeiten müssen. Eine kollaborative Plattform muss deshalb ihren Fokus auf die starken Beziehungen legen, denn dort liegen die Anreize zur Zusammenarbeit. Erst dann kann in einem weiteren Evolutionsschritt die Erschließung der schwachen Beziehungen gesprochen werden. Eine Umkehrung dieser Priorisierung wird scheitern.
Der nächste Beitrag in dieser Reihe kommt von Simone Happ und betrachtet die Zusammenarbeit aus dem Blickwinkel verschiedener Sozialer Gruppen im Unternehmen: „Starke und schwache Vernetzung im Unternehmen: Warum Netzwerken so schwierig ist“
Quellen:
Joachim Bauer: Prinzip Menschlichkeit: Warum wir von Natur aus kooperieren
John Roberts: The Modern Firm : Organizational Design for Performance and Growth
Fredmund Malik: Führen, Leisten, Leben: Wirksames Management für eine neue Zeit
Morten T. Hansen: Collaboration: How Leaders Avoid the Traps, Build Common Ground, and Reap Big Results
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das ist sehr gut & überzeugend. (das klingt jetzt wie spam, ist aber ernst gemeint 😉 )
Ich schließe mich grundsätzlich der Beziehungs-Sicht an. Dennoch sollten Technologien/Plattformen beide Arten von Beziehungen (stark & schwach) unterstützen.
Die E20-Diskussion um die Unterstützung schwacher Beziehungen ist grundsätzlich nicht neu. Sie resultiert (so vermute ich) auch daraus, dass starke Beziehungen ohnehin unterstützt werden, sowie aus der Sicht von Granovetter, dass es Sinn macht, schwache Beziehungen zu unterstützen. Vgl. http://sociology.stanford.edu/people/mgranovetter/documents/granstrengthweakties.pdf
Viele Grüße,
Alexander Stocker
Die Nutzung von Software sollte nicht um ihrer selbst Willen erfolgen, da sind wir uns sicher alle einig. Wichtigste Erkenntnis für mich aus diesem Beitrag ist aber, dass auch Zusammenarbeit (und Kommunikation) nicht zum Selbstzweck erfolgen sollen und auch nicht funktionieren werden. Dort wo notwendig oder sinnvoll sollte aber heute auch die Unterstützung starker und schwacher Bindungen erfolgen. Sicherlich in dieser Reihenfolge.