Es lebe die Kommunikation mit sozialen Tools! Damit schaffen wir Netzwerke im Unternehmen. Damit machen wir Netzwerke sichtbar und befördern sie! Schöne neue Welt! …. – Kennen Sie noch die Erwartungen und Ernüchterungen des Wissensmanagement Hypes? Gib Tools und erfreu dich am Wissensaustausch. Hat leider auch nicht funktioniert. Doch wenn mein bunt gemischtes, verteiltes Team gemeinsam am neuen Fachkonzept schreibt, sind wir mit sozialer Software wirklich schneller und besser koordiniert. Was also ist das Problem?
Unterscheiden wir zunächst soziale Gruppen im Unternehmen: Einerseits gibt es das Team, die Gruppe die zusammen eine Aufgabe erfüllt. Teammitglieder sind untereinander bekannt und mehr oder weniger vertraut. Granovetter spricht von „strong ties“, von starken Verbindungen zwischen den Personen. Andererseits existiert ein großes Netzwerk z.B. der fachlichen Kontakte zu einem bestimmten Thema. Ein Teil der Personen ist auch hier untereinander bekannt und vertraut, doch andere Gruppenmitglieder kennen sich nicht oder nur recht oberflächlich. Nach Granovetter bezeichnen wir diese schwachen Bekanntschaften als „weak ties“ im Netzwerk. Anderson und Dron diskutieren eine dritte Form von Vernetzung: das Kollektiv, im Folgenden als der Schwarm bezeichnet. Während eine Person im Team und im Netzwerk kommunizieren und handeln muss, um sichtbar zu sein, entsteht ein Schwarm automatisch durch die Aggregation der Aktionen vieler Individuen. Grafik 1 verdeutlicht die drei Formen der Vernetzung, die im Folgenden bewusst unterschieden werden sollen, da sie sehr unterschiedlich funktionieren und damit auch unterschiedliche Arbeitsmittel brauchen.Betrachten wir die 3 Typen der Vernetzung aus Sicht eines Unternehmens im Einzelnen.
Das Team: Packen wir es an!
Ein Team oder eine Gruppe hat die Aufgabe, eine konkrete Aufgabe zu lösen. Ein Team kann gleich einer Organisationseinheit sein oder für ein bestimmtes Thema organisationsübergreifend gebildet werden. Die Teammitglieder sind untereinander bekannt und jedes Mitglied besetzt eine bestimmte Rolle innerhalb der Gruppe. Eine Mitgliederzahl von mehr als 30 Leuten ist kritisch, denn dann sinkt die Kontaktfähigkeit untereinander und die Effektivität der Zusammenarbeit. Entwicklungshistorisch können wir dies mit der Größe einer Horde der Urzeit begründen. Noch heute kann der Mensch gut in Gruppen bis zu 20-30 Leuten agieren, hat jedoch Schwierigkeiten größere Gruppen zu durchschauen und personenbezogen zu kalkulieren (Die Lösung ist erst mal ganz einfach: Spalte ein zu großes Team in Teilgruppen auf.).
Die Motivation der Zusammenarbeit im Team ist (mehr oder weniger) hoch. Unterscheiden wir – wie im letzten Post – zwischen zielorientierten und beziehungsorientierten Motivationsfaktoren: Die zielorientierten Motivationsfaktoren sind abhängig von der Aufgabe selbst. Da sich die Teammitglieder persönlich kennen, gibt es außerdem zusätzlich immer beziehungsorientierte Motivationsfaktoren, die Antrieb für eine Zusammenarbeit sind.
Das Netzwerk: Die hohe Kunst der Zusammenarbeit
Ein Netzwerk verbindet Personen mit gleichen Interessen, gemeinsamen Erfahrungen, ähnlichen Fähigkeiten oder gemeinsamen Zielen. Typische Beispiele für Unternehmensnetzwerke sind interne oder firmenübergreifende Interessengruppen, Alumnivereinigungen, Industrieverbände oder Fachzirkel. Die Struktur eines Netzwerkes ist emergent, dass heisst, nur durch die Verbindung der Teilnehmer entstehen Eigenschaften und Inhalte (das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile). Die Teilnehmer sind nicht zwangsläufig miteinander bekannt. Eine Organisation (z.B. durch Moderation, Spielregeln, festgelegte Rollen o.ä.), die explizit geschaffen werden muss, ist für das Funktionieren des Netzwerkes notwendig.
Die Ziele der einzelnen Mitglieder des Netzwerkes sind weniger konkret als die der Mitglieder eines Teams. Stärkster Motivationsfaktor ist die persönliche Reputation. Eine Verbindung zum betrieblichen Zielsystem ist oft nicht so offensichtlich, weshalb zielorientierte Motivationsfaktoren nicht so gut funktionieren. Auch die beziehungsorientierten Motivationsfaktoren sind deutlich schwächer, da die Personen sich untereinander teilweise gar nicht kennen. Unabhängig von Tools und sozialen Medien ist also die Zusammenarbeit im und das Funktionieren eines Netzwerkes deutlich komplizierter und komplexer als für das überschaubare Team. Kaum eine Person engagiert sich in einem (betrieblichen) Netzwerk aufgrund intrinsischer Motivationsfaktoren, aus purem Spaß am „Networking“.
Doch genau im Verbinden der Personen, die sich nicht kennen, liegt Innovationspotential und effizienter Informationsaustausch. Granovetter nennt es „the strength of the weak ties“. Nicht durch das „Schmoren im eigenen Saft“, sondern durch den Ideenaustausch mit anderen Personen aus unterschiedlichen Umgebungen kann Neues, Ungewöhnliches, Unbekanntes entstehen.
Der Schwarm: Die Chance sozialer Tools
Ein Schwarm entsteht automatisch durch die algorithmische Aggregation einzelner Individuen und deren Aktionen. Alternativ wird der Begriff Kollektiv verwendet, der eine Assoziation zu den Borg aus dem Star Trek Universum ist, die sich durch den Zusammenschluss allen individuellen Wissens charakterisieren. Die Mitglieder eines Schwarms sind sich des Schwarmes selbst nicht vordergründig bewusst. Die Teilnehmerzahl muss sehr groß sein, nur dann sind statistische Aussagen und Vorhersagen sinnvoll (die folgenden Betrachtungen sind deshalb vor allem für große Unternehmen spannend, spielen aber für die interne Zusammenarbeit kleinerer Firmen weniger eine Rolle). Ein Schwarm kann Ergebnisse wie Wahlabstimmungen oder Suchpräferenzen hervorbringen. Durch soziale Tools können Kollektive und deren Verhalten sehr gut sichtbar gemacht werden (z.B. durch Profiling oder soziale Suche).
Motivation spielt für das Funktionieren eines Schwarmes keine Rolle, sondern der Einsatz sinnvoller Tools steuert die Aussagekraft über einen Schwarm. Herausforderung im Unternehmen ist, möglichst nah an den Arbeitsprozessen die Informationen, die betriebsübergreifend bereitgestellt werden sollen, abzuholen und bereitzustellen, idealerweise auf einer einheitlichen Plattform. Das Pflegen von fünf Profilen auf verschiedenen Teamsites und im zentralen Intranet funktioniert eben schlecht. Themen und Inhalte, die einen Mitarbeiter charakterisieren, können aus unterschiedlichen Quellen automatisch extrahiert werden. Das heißt, Teams (und teilweise Netzwerke) müssen in elektronischen Medien aktiv sein, damit zu monitorende Daten entstehen. Die automatische Ableitung von Informationen funktioniert nur dort, wo Daten entstehen und erfasst werden.
Nachfolgende Tabelle stellt die drei vorgestellten Typen sozialer Gruppen im Unternehmen nochmal gegenüber (in Anlehnung an Dron und Anderson, die dies für Lernergruppen untersucht haben):
Team | Netzwerk | Schwarm | |
Motivation | Wird initiiert zur Erfüllung einer konkreten Aufgabe | Wird initiiert zum Gedankenaustausch, zur Kooperation | Entsteht durch gemeinsame Arbeit oder die Nutzung gleicher Informationssysteme |
Commitment | Hoch | Schwächer | Nicht relevant |
Identifikation der Gruppenmitglieder | Eindeutige Zuordnung einer Person zur Gruppe; Gruppenmitglieder kennen sich gegenseitig | Kerngruppe aktiver Moderatoren; Nicht alle Personen sind sich der Rolle im und des Netzwerkes zwangsläufig bewußt | Mitglieder sind sich der Rolle im Schwarm nicht bewusst (Anonymität) |
Struktur | Entsprechend der Aufgabe, oft hierarchisch | Lose, emergente Strukturen; keine festdefinierte Organsiation | Flach, unterschiedliche Strukturen basierend auf statistischen Auswertungen |
Erfolgskriterien | Individuelle Motivation, die Aufgabe zu erfüllen | Mehrwerte für Mitglieder schaffen, Reputationsmöglichkeit gegeben, Kooperationsbereitschaft, gute Moderation |
-(Erfolgskriterium zur Auswertung: Gute Tools, einheitliche Plattform) |
Beispiel im Unternehmen | Team der Produktentwickler für die Software XYZ | Communities of Practise, | Gemeinde der Intranet-Nutzer |
Größe | Ab 3 Teammitgliedern, Mehr als 30 Personen kritisch |
Mindestens 10-20 aktive Mitglieder | Mindestens 100 bis 200 Mitglieder;Je mehr desto besser |
Kein Tool für alle: Jedem sein Werkzeug
Haben wir diese drei so unterschiedlichen Typen der Zusammenarbeit verstanden, dann wird klar, dass soziale Software diese drei Gruppen sehr unterschiedlich unterstützt. Wichtig ist, soziale Software nicht als ein Zusatztool mit Spieleffekt zu verstehen, sondern die Arbeitsprozesse damit zu optimieren. Mit gemeinsam gepflegten Listen, geteilten Kalendern oder gemeinsam erstellten Texten (Wikis) kann die Zusammenarbeit im Team deutlich effizienter gestaltet werden. Durch Status Updates oder Microblogging können Informationen schneller und klarer verteilt werden. Und wenn die Lösung der Aufgabe im Vordergrund steht, dann ist „Mitmachen“ auch keine Frage. Im Netzwerk ist dies schwieriger. Auch hier werden die Tools eingesetzt, damit die Zusammenarbeit besser wird. Doch die Hürde, Texte zu formulieren und Informationen zu aktualisieren ist hoch, wenn dies Themen außerhalb meiner täglichen Aufgaben umfasst. Blogs, Newsletter, Eventkalender eines Netzwerkes werden deshalb idealerweise von einem kleinen, verantwortlichen Kernteam gepflegt und aktualisiert.
Soziale Software, die den Schwarm „monitort“, hilft, Arbeitsweisen besser zu verstehen. Dabei werden elektronische Spuren von Personen und deren Aktivitäten in Teams (und Netzwerken) ausgewertet. Dadurch funktionieren soziale Suche, unternehmensweites Tagging oder zentrale Nutzerprofile.
Tabelle 2 fasst die Ideen zusammen und gibt einen Überblick, welche Tools für welche Gruppe funktionieren:
Team | Netzwerk | Schwarm | |
Listen, z.B.Aufgabenlisten | X | (X) | |
Shared Kalender | X | (X) | |
Chat | X | ||
Status Update | X | ||
Microblogging | X | X | |
Blogs | X | X | |
Wikis | X | X | |
Forum | X | X | |
Nutzerverzeichnisse mit persönlichen Profilen | X | (X) | X |
Kommentare / Bewertungen | X | (X) | X |
Umfragen | (X) | (X) | X |
Tagging | X | X | |
Soziale Suche | (X) | X |
Fazit
Welche Konsequenzen hat das für die betriebliche Zusammenarbeit?
- Teamarbeit kann sehr wohl durch soziale Software verbessert werden. Gemeinsame Teamsites mit Kalendern, Listen, Kontakten, Dokumenten und Status macht Zusammenarbeit in einer übersichtlichen Gruppe transparent und effizient. Herausforderung bei Tooleinsatz sind eine gewisse Standardisierung (z.B. durch Templates) und eine teilweise Transparenz der Arbeitsergebnisse (zum Austausch mit anderen Arbeitsbereichen(Teams) und zur Aggregation der Daten für den Schwarm).
- Der Einsatz sozialer Tools wie z.B. Profiling, Umfragen, Tagging, Soziale Suche etc. verbessert Aussagen, die über Nutzerverhalten und Interessen (eines Schwarmes) getroffen werden. Dies ist teilweise sehr hilfreich. Eine Unterstützung von Netzwerken wird dadurch aber in keiner Weise erreicht. Wir arbeiten dadurch nicht besser zusammen.
- Die Web 2.0 und Enterprise 2.0 Welle versprach das Aufleben und Funktionieren von Netzwerken zwischen Personen, die nicht oder nur wenig kennen. Doch ausser dem Sichtbarmachen von Verbindungen in sozialen Netzen hat sich an der Zusammenarbeit von Leuten, die sich wenig kennen, nicht sehr viel geändert. (Laut aktueller Forrester Studie präferieren selbst eingefleischte Social Media Nutzer eMail als das Kommunikationsmittel erster Wahl, wenn sie Kollegen kontaktieren.)
- Die Schwierigkeit des Funktionierens eines Netzwerkes liegt in der Anonymität und fehlenden Motivation der Netzwerker. Tools helfen erst dort weiter, wenn Anreize zur Kommunikation im Netzwerk da sind. Doch genau das Anreizsystem ist die wirkliche Herausforderung in der netzwerkübergreifenden Zusammenarbeit.
- In funktionierenden Netzwerken liegt ein Stück Erfolg für die Innovationskraft von Unternehmen. Folgende Ansätze unterstützen die Motivation zur Netzwerkarbeit:
- Schaffen von Mehrwerten (die Neuigkeiten zum Softwarerelease werden zuerst und am detailliertesten im Netzwerk der Entwicklergemeinde veröffentlicht)
- Verankern des „Netzwerken“ im Zielesystem (wie diskutiert hier )
- Verstärken der weak ties und Aufbau einer persönlichen Beziehungsebene zwischen Personen (durch reale Veranstaltungen und direkte Kommunikation), Schaffung von Teams innerhalb des Netzwerkes.
Das Fazit ist einfach und altbekannt: Kooperationsbereitschaft ist eine persönliche Einstellung, die durch die Gestaltung des Umfeldes befördert werden kann. Hier stoßen Werkzeuge an ihre Grenzen. Welche Barrieren bei der Zusammenarbeit auftreten und wie sie zu lösen sind, wird im nächsten Artikel von Jenny Meyer untersucht und erklärt. Denn dort, und nur dort, wo Zusammenarbeit funktioniert, kann sie durch Werkzeuge effizienter gestaltet werden.
Hallo Simone,
sehr spannender Artikel, vielen Dank. Zu einem konkreten Punkt habe ich eine Anmerkung: Helfen soziale Tools (und da konkrete die soziale Suche) tatsächlich nicht beim Netzwerken? Gerade über soziale Suche finde ich doch Kollegen, die im Netzwerk noch gar nicht aktiv sind und kann sie zur Teilnahme motivieren oder konkrete Fragen zu deren Fachgebiet stellen, woraus sich das persönliche Netzwerk wieder erweitert. Wie siehst Du das?
Viele Grüße,
Martin
@Martin: Danke!
Genau das ist der Mehrwert sozialer Tools: Verbindungen zwischen Themen, Personen, Inhalten sichtbar machen und damit Leute identifizieren. Und das funktioniert umso besser, je besser ich den „Schwarm“ monitore und automatisch generierte Daten auswerte. Derjenige, der sein Profil im Netzwerk pflegt, der ist ja zur Mitarbeit schon gewonnen; aber ich will auch die Kollegen mit anderen Ideen erreichen.
Zusammenarbeit ist mehr, als nur ein gegenseitiges Kennen(lernen). Wichtige Personen zu identifizieren ist ein entscheidender erster Schritt, aber zum Netzwerken gehört doch auch Kommunikation, Gedankenaustausch, Kooperation. Und das ist eben leider auch nicht so trivial (… und darum geht es auch im naechsten Post dieser Reihe 🙂 ).
Alles klar, dann bleibe ich gespannt 🙂
Sehr schöner Beitrag. Aus meiner Sicht sind soziale Tools ein gutes Instrument, dass Mitarbeiter (auch ohne Business Case) über ad-hoc Dokumentation von Inhalten als Wissensträger zu bestimmten Themen sichtbar werden.
Das eigentliche Netzwerken kann und wird dann auch über andere Kanäle stattfinden.
Viele Grüße
Alexander
Hallo Simone, dein sehr detailliert erarbeiteter Blogbeitrag hat mir gut gefallen. Besonders die differenzierte Unterscheidung zwischen Team, Netzwerk und Schwarm erklärt einige der Hürden bzw. vielleicht auch falschen Erwartungen, die die Einführung von Social Software in Unternehmen behindern. Kleine Anregung von meiner Seite: Ich sehe Microblogging durchaus als ein sehr hilfreiches Werkzeug für die Kategorie „Schwarm“. Dies gilt sowohl für Twitter und Facebook, wenn es um die große anonyme Masse geht als auch im Schwärme im Unternehmen, die in internen Microblogs wie z.B. Communote in der Lage sind, ganz gezielt die Themen zu verfolgen, die für ihre Arbeit wichtig sind. Künftig muss dafür aber die Personalisierung der Aktivitatsströme noch viel besser werden, als heutige Software dies vermag.
Eine Aussage, die ich durchaus unterstreichen kann. Wir haben heute in Unternehmen und Organisationen eine Menge mehr oder weniger hilfreicher Tools, um uns die Zusammenarbeit über Team-, Abteilungs- und Standortgrenzen hinweg zu erleichtern. Die grundsätzliche Kooperationsbereitschaft ersetzen uns diese Werkzeuge aber nicht.