Wem sollten wir applaudieren – den Menschen oder den Maschinen?

Frank Wolf —  20. September 2010 — 3 Comments

Kürzlich hat die Süddeutsche Zeitung einen Artikel von Cyber-Visionär Douglas Rushkoff veröffentlicht: „Programm werden oder programmiert werden“. Er plädiert darin, endlich über die Folgen der Digitalisierung für Zukunft unseres Denkens zu diskutieren. Eine Aussage im Artikel finde ich besonders bemerkenswert:

Anstatt eine Person oder Gruppe zu bewundern, die dazu in der Lage ist, in einer neuen Weise zu kommunizieren, neigen wir dazu, die Werkzeuge zu bewundern, durch deren Einsatz dies geschieht. Wir feiern nicht die menschlichen Stars den Mediums, so wie wir die Stars des Rundfunks, des Films oder des Fernsehens anhimmeln. Stattdessen faszinieren uns die Bildschirme und Touchpads selbst. Anstatt den Erwerb neuer Fähigkeiten im Auge zu haben, erheben wir neue Spielzeuge zum Fetisch.

Ist der eigentliche Star nicht Facebook, sondern die Studenten der Harvard Universität, die ab 2004 innerhalb kürzester Zeit völlig neue Wege der Kommunikation (aus Basis der Facebook Plattform) für sich erschlossen haben? Viele Anwendungen, die wir unter dem Begriff Social Media zusammenfassen, sind technologisch höchst trivial (Twitter…), die eigentliche Innovation findet bei den Nutzern statt. Kommunikationsinnovationen entstehen nicht in abgeschotteten Laboren, sondern passieren genau dann, wenn die richtige Plattform/Idee/Technologie auf die richtigen Menschen und ihre Neugier und Experimentierfreudigkeit trifft.

Schwierige Zeiten für deutsche Erfinder

Für deutsche Erfinder, mit Ambitionen auf mehr als lokale Markführerschaft, sind das wohl keine guten Nachrichten. Das Anrecht auf bahnbrechende Web und vor allem Web 2.0 Innovationen, scheint Amerika gepachtet zu haben. Kein Wunder:  viele potentielle Nutzer mit der gleichen Sprache (die dazu fast flächendeckend von den Eliten dieser Welt beherrscht wird), die anteilig größte Verbreitung des Internets und vor allem eine beneidenswerte Aufgeschlossenheit bilden den idealen Nährboden für jede denkbare Geschäftsidee im Web.

Wer sind die Stars im Unternehmen?

Auch innerhalb von Unternehmen sind es vor allem die Menschen, die neue Formen der Zusammenarbeit und der Kommunikation erst ermöglichen. Ich erinnere mich an einen Besuch bei Spreadshirt vor über zwei Jahren, bei dem wir uns das Confluence Intranet des jungen Leipziger Startups angesehen haben. Die damalige Version des Enterprise Wikis war eher rudimentär im Vergleich zu heutigen Standards bei Social Business Software. Bemerkenswert war jedoch, dass Spreadshirt den Großteil seiner Prozesse, Projekte, Dokumentationen und Unternehmensführung darin ganz selbstverständlich abwickelte.  Ja, Innovatoren brauchen keine ausgereifte Technologie, um neue Formen der Kommunikation im Unternehmen zu leben und weiter zu entwickeln.

Trotz dieses eher aussergewöhlichen Beispiels aus der besonderen Situation eines Startups, existieren für die meisten etablierten Unternehmen grundlegend andere Rahmenbedigungen als im Internet: Eine Kommunikationsinnovation funktioniert im Internet, wenn sich eine gewisse „kritische Masse“ an Nutzern beteiligt. Bei gegenwärtig ca. 1,5 Milliarden Internetnutzern reichen dann schon 0,01% aus, um 150.000 Nutzer zu haben. Eine Kommunikationsinnovation im Unternehmen funktioniert ganz sicher nicht bei 0,01% der Mitarbeiter. Sie wird auch nicht bei 1% funktionieren, sondern wird einen wesentlich größeren Anteil haben müssen. Enterprise 2.0 Ansätze können also nur gelingen, wenn sie wesentlich breitere Mitarbeiterschichten ansprechen, als es die meist überschaubare Gruppe der innerbetrieblichen Web 2.0 Evangelisten ist. Das bedeutet in unserem Verständnis vor allem Brücken zu bauen, indem man z.B.

  • bei bestehenden Informationssystemen wie dem Intranet ansetzt uns diese schrittweise mit Web 2.0 Funktionalitäten aufrüstet,
  • bestehende Informationskanäle wie Newsletter nicht abschafft, sondern als Teaser und Eintrittstor in neue Informationsangebote benutzt,
  • auf Funktionen aus der vermeintlich „alten Welt“ wie Dokumentenmanagement, Office Integration, Navigationsstruktur und Redaktionsprozesse achtet und diese als erfolgskritisch einstuft,
  • keine neuen Informationsinseln schafft, die nur Insider und „Wiki Benutzer“ kennen, sondern entweder eine Plattform anbietet, oder die wichtigsten Plattformen durch eine übergreifende Suche, Feeds, Favoriten, Navigation,… integriert,
  • den Wunsch nach Kontrolle nicht als „ewig gestrig“ abtut, sondern genau versteht, welche Maß an Offenheit und Dialog ein Unternehmen gegenwärtig (v)ertragen kann,
  • weniger regulierte Bereiche schafft, in denen die Innovatoren den Freiraum haben, sich und ihre Ideen auszuprobieren.

Kommunikationsinnovationen können am Ende nur von Menschen hervorgebracht werden.  Im Internet hat fast jede Technologie die Chance, IHRE Nutzer zu finden. Im Unternehmen muss sich Technologie in viel stärkerem Maße den Nutzern anpassen und sie abholen, um breite Akzeptanz finden. Man kann kein reines Wiki als neue Kommunikationsplattform hinstellen und der Organisation zunächst ein Kulturveränderungsprojekt verordnen, damit diese dann damit zurechtkommt. Kultur ist zumindest mittelfristig eine gegebene Variable. Hier ist es vor allem an Technologie, aber auch an Organisation und Kommunikation, Brücken zu bauen und neue Formen der Zusammenarbeit auf eine möglichst breite Basis im Unternehmen zu stellen.

Quelle des Teaserbildes

3 responses zu Wem sollten wir applaudieren – den Menschen oder den Maschinen?

  1. Das interessiert mich wirklich, gibt es darüber noch mehr Infos?

  2. Der Artikel gefällt mir ausgesprochen gut. Ich stimme zu, dass im Unternehmen die Technologie entsprechend angepasst werden muss. Jedoch ist es m.M. seitens der Verantwortlichen auch notwendig, den Mitarbeitern die Vorteile aufzuzeigen und das Projekt zu bewerben, Vorurteile abzubauen und zu schulen.

Trackbacks und Pingbacks:

  1. The Enterprise Suprise – Was ist wichtig bei der Auswahl von Social Software? Workshop mit dem Real Story Group CEO Tony Byrnes | Besser 2.0 - 14. November 2010

    […] wie Facebook“ nichts anfangen können. Ich habe darüber auch etwas ausführlicher im Artikel „Wem sollten wir applaudieren – den Menschen oder den Maschinen?“ […]

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