Jeder, der sich mit Social Media und Enterprise 2.0 beschäftigt und in der Blogosphäre unterwegs ist, kennt sie. Die Übersichten von Social Software Anwendungen, die derzeit auf dem Markt verfügbar sind. Gartner, Forrester, CMSWatch und Co. geben sich viel Mühe, um sich in ihren Darstellung zu übertreffen. Dion Hinchcliffe zum Beispiel hat eine Einteilung von Social Software Anwendungen nach dem FLATNESSES Modell herausgebracht. Gartner hingegen teilt die Betrachtung nach den Dimensionen „Completeness of Vision“ und „Ability to execute“ ein. Eine Unterscheidung nach den Kriterien „Vendor Evolution“ und „Product Development“ nimmt CMSWatch vor.
Was wollen uns die Autoren damit sagen? Ein Beispiel soll die Schwierigkeit der Interpretation der verschiedenen Übersichten verdeutlichen. Angenommen, ein IT-Entscheider sucht nach einer geeigneten Social Software für den internen Unternehmeneinsatz. Als Erstes schaut er sich bei Gartner um. Hier sind Microsoft SharePoint, IBM Quickr, Atlassian Confluence und Jive Social Business Software die favorisierten Tools. Danach geht’s zu Forrester. Hier sind Telligent Enterprise, Jive Social Business Software, Pluck und Mzinga ganz oben dabei. Aber Achtung, Forrester hat speziell Community-Plattformen bewertet! Dann noch weiter zum ZDNet-Blog von Dion Hinchcliffe. Hier findet er die „Enterprise 2.0 Map of the 2009 marketplace„. Hier sind wiederum Acquia Drupal und Socialtext 3.0 weit vorne.
Problematisch ist, dass jeder seine eigenen Metriken und seine eigene „Betrachtungswelt“ als Grundlage ansetzt. Diese bewerten die vorhandenen Social Software Anwendungen nach höchst unterschiedlichen Kriterien. So kommen also auch die unterschiedlichen Ergebnisse zustande. Für einen orientierungssuchenden IT Entscheider keine befriedigenden Situation. Die (teilweise widersprüchlichen) Aussagen der einzelnen Übersichten eignen sich kaum für eine belastbare Shortlist von passenden Anbietern, ganz zu schweigen von direkten Investitionsentscheidung für eine Pilotinstallation.
Geschäftsszenarien als Basis für Vergleiche
Jedes Unternehmen bzw. jede Organisation hat sehr unterschiedliche Anforderungnen und Anwendungsszenarien für den geplanten Einsatz von Social Software . Somit sind also auch die Kriterien für die Auswahl der geeigneten Software und deren Gewichtungen unterschiedlich. Eine allgemeine Betrachtung ist hier wenig hilfreich. Es kommt erschwerend hinzu, dass die oben genannten Darstellungen Äpfel mit Birnen vergleichen. Es ist klar, dass eine Blog-Software wie WordPress nicht mit Socialtext oder Jive mithalten kann (siehe „Enterprise 2.0 Map of the 2009 marketplace“ von Dion Hinchcliffe). Aber für den Anwendungsfall Corporate Blogging ist WordPress eine der besten Lösungen, die es derzeit gibt.
Daher sollten für eine Auswahl nicht vordergründig Kriterien wie Vollständigkeit der Social Software Funktionen oder die Vision/Strategie des Anbieters herangezogen werden, sondern ein sehr starker Bezug zu dem eigentlichen Anwendungsszenarium hergestellt werden. Nur so lassen sich konkrete Anforderungen und damit auch Kriterien für den Vergleich definieren.
Ein gutes Beispiel für diesen Ansatz kommt von CMSWatch und nennt sich „The Enterprise Social Software and Collaboration Report 2009“ (zu kaufen für $1.650). Im Report vergleicht CMSWatch eine große Anzahl an Social Software Anwendungen (Plattformen, Social Software Suites, Wikis, Blogs etc.) und mappt diese anhand von Anwendungsszenarien. Diese teilt CMSWatch nach internen und externe Anwendungsszenarien ein. Interne Szenarien sind zum Beispiel: Project Collaboration, Enterprise Collaboration, Info Organization & Filtering, Enterprise Networking etc. Zu den externen Szenarien gehören: Branded Customer Communities, Partner Collaboration, Professional Networking. Das ganze wird noch abgerundet durch wirklich fundierte Handlungsempfehlungen zur Social Software Einführung im Unternehmen und eine angenehme Distanz zum Hype um Social Software, die aber die vielen Informationen und Details auf über 500 Seiten eher noch glaubwürdiger macht. Fazit: Leider sehr teuer, aber das Geld auf jeden Fall wert!
Ich finde die Vorstellung, dass ein IT-Entscheider die Social Software auswählt ein bischen risikobehaftet. Ohne es böse zu meinen, aber meine Erfahrung mit ITlern ist, dass sie doch sehr sehr technisch an solche Sachen heran gehen und Zweck, Nutzen und Anwender-Usability (!) nicht immer die notwendige Wichtigkeit für die Entscheidungsfindung darstellen.
Sicher muss ein IT-Entscheider beratend zur Seite stehen, was die Installierbarkeit der Social Software angeht – aber eben aus rein technischen Aspekten heraus.
Die Auswahl sollte m.M.n. das mit der Einführung von Corporate Social Media beauftragte Projekt-Team vornehmen – die Wissen sowieso am besten, was sie damit machen wollen. Bei Social Software geht es nämlich ganz und gar nicht darum „Was kann es und wie macht es das?“ sondern „Was soll das können?„
Hallo Robert. Da gebe ich dir grundsätzlich Recht. Optimalerweise sollten die Fachabteilung und die IT-Abteilung in die Entscheidungsfindung einbezogen werden. Aussage im Artikel war, dass man sich bei einer solchen Entscheidung nicht von Social Software Vergleichen o.ä. beeinflussen lässt, sondern Anforderungen und Anwendungsszenarien berücksichtigt.
Hallo Zusammen,
aus meiner Sicht stehen wir vor einer sich immer wiederholenden Entscheidung, wie wir das Thema Web 2.0 angemessen und erfolgreich in der Organisation etablieren können. Und genau diese Frage ist immer wieder neu zu stellen. Für uns geht es dabei um die Frage, wie man die Organisation an das Thema Web 2.0 heranführt, die Organisation damit vertraut macht, die Mitarbeiter damit nicht überfordert und dennoch einen möglichst zukunftssicheren Schritt macht, ohne IT Investitionen aus dem Fenster zu werfen.
Zum jetzigen Zeitpunkt würde ich folgendes postulieren:
1. Wir erleben ein stetig anwachsenden Bedarf an Geschäftsszenarien, die mittels Corporate Social Software abgebildet werden sollen. Die am Markt vorhande Software erfüllt nicht die Anforderungen, die ein Unternehmen an Corporate Social Software stellt. D.h. das Problem stellt sich für mich ganz anders dar, z.B. ein „was soll das können?“ wird aktuell nur eingeschränkt durch die am Markt verfügbaren Software erfüllt. Installierbarkeit ist dabei kein Problem.
2. Die am Markt verfügbare Software erfüllt kaum die Anforderungen einer angemessenen Usabilty. D.h eine angemessene Usabilty ist nachträglich einzubauen. Damit verliert eine Organisation Zeit, die Mitarbeiter schneller an das Thema heranzuführen.
3. Der Entscheidungsprozess im Kontext Corporate Social Software ist kein einmaliger Schritt, der beispielsweise für die Dauer des IT-Investitionszyklus´ seine Gültigkeit behält. Es besteht ein großes Risiko, das die Entscheidung bereits zur Hälfte des IT-Investitionszyklus hinfällig wird. Insofern sind bei Social Software-Vergleichen für uns insbesondere die Aussagen über die Lebenszyklen von besonderem Interesse.
@ Frank Schrader
Ein Kommentar zu Ihrem dritten Punkt: Wie behält eine Entscheidung für die Dauer des IT-Investitionszyklus Ihre Gültigkeit?
Eigentlich sollte es doch so sein: Ich entscheide mich für eine konkrete Software und konkrete Anwendungsfälle, weil ich dafür ganz klar den Nutzen für meine Organisation erkenne. Wenn das der Fall ist, dann ist es zunächst vollkommen egal, was an alternativen Lösungen noch während des Investitionszyklus auf den Markt kommt – die eigene Investition zahlt sich aus. Insofern würde ich nicht davon sprechen, dass eine Entscheidung, die unter diesen Umständen getroffen wird, potentiell nach kurzer Zeit hinfällig werden könnte. Mit den Erfahrungen des ersten Investitionszyklus, kann dann der zweite angegangen werden. Mit besseren Tools und sicher einem größeren Verständnis, an welcher stelle im Unternehmen der meiste Nutzen damit generiert werden kann.
Viele IT-Entscheider werden sich zuerst mit den Grundlegenden Funktionen von Social Software auseinandersetzen müssen.
Eine frühe Fokussierung auf die Produktebene sehe ich da als kontraproduktiv. Alternativ bieten sich generalisierte Einteilungen an, um den konkreten Bedarf zu bestimmen. Mögliche Einteilungen wären hier das Social Software Dreieck von Koch/Richter (Uni der BW, München) oder die 4C von Cook.
Für Enterprise2Open habe ich die Modelle einmal gegenübergestellt.
@Kai Nehm
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass IT Entscheider, die neu im Thema Enterprise 2.0 sind, zum ersten mal wirklich begreifen worum es geht und was die Potentiale sind, wenn sie ein ganz konkretes Tool, seine Funktionalität und darin laufende Anwendungsfälle sehen. Dann wird auch vielen klar, was Enterprise Social Software von Wikipedia & co. unterscheidet. Die angesprochenen Einteilungen sind für eine Entscheidung begleitend hilfreich, aber aus meiner Sicht , kann eine Beschäftigung mit den konkreten Tools nicht früh genug erfolgen.
Andrew McAfee, Vater des Begriffs „Enterprise 2.0“, stellt einige use cases inklusive Lösung dar:
http://andrewmcafee.org/2009/09/