Wie viele andere Branchen, fragen sich natürlich auch die Versicherungen, was das Web 2.0 für Ihr Geschäftsmodell bedeutet. Ich durfte zu diesem Thema vor einiger Zeit beim Versicherungsforum Leipzig vor einer Gruppe von ca. 25 Versicherern sprechen und rege diskutieren. Ergebnisse dieser Diskussion will ich hier im Folgenden mit darstellen und verwenden.
Interessant wird die Betrachtung durch ein Spannungsfeld, das zwischen Versicherern, Ihren Kunden und den entweder abhängigen oder freien Maklern entsteht. In der Überlappung dieser drei Elemente entstehen eine Reihe von Schnittpunkten und Flächen und es liegt die Frage nahe, ob und wie Web 2.0 in den einzelnen Flächen eine Rolle spielen könnte.
Ich habe dieses Bild auch am Anfang meines Workshops aufgelegt und danach die 25 Teilnehmer gebeten, drei Punkte auf diejenigen Flächen zu verteilen, die Ihrer Meinung nach die höchste Relevanz im Bereich Web 2.0 besitzen. (ca 25% der Gruppe waren Direktversicherer, der Rest arbeitet mit Maklern zusammen) Das Ergebnis sah folgendermaßen aus:
Wir sind die Felder dann einzeln durchgegangen, um Potentiale und Erwartungen zu diskutieren. Die wichtigsten Aussagen:
1: Versicherung / Kunde
Neben den allgemeingültigen Social Media Themen (Monitoring, Kunden zuhören, selbst bei Twitter etc aktiv werden,…) ist bei Versicherungen vor allem relevant, daß sie als Marke und Produkt nicht gerade im Zentrum des Interesses von Communitys stehen.
Der Buzz Faktor ist bei Versicherungen überschaubar.
„The key with boring brands is to get people talking about their problems, since they won’t talk about your brand.”
Das ist der Kern der Strategie, die Josh Bernoff für Marken mit geringerem Buzz Faktor empfiehlt – die Versicherer verzeihen ihm hoffentlich den etwas uncharmanten Titel: Social Strategy for Exciting (and Boring) Brands.
Ein wichtiges Thema in der Schnittmenge 1 ist zusätzlich das mobile Angebot von Versicherern. Die Präferenzen der Kunden scheinen sich hier aktuell vor allem im Bereich Notruf / Unfall- / Pannenhelfer Apps zu bewegen, also eher Dinge die helfen, wenn der Schaden eingetreten ist.
2: Kunde / Kunde
Eine Direktversicherung in der Runde hat Kundenbewertung für die eigenen Angebote freigeschaltet und damit positive Erfahrungen gemacht. Die Überraschung war, dass die Kunden eher sehr positiv bewertet haben.
3: Kunde / Makler
Sehr spannendes Feld, denn: Junge Menschen „verwalten“ und pflegen ihre Beziehungen zu einem großen Teil online. Wer mit dieser Zielgruppe ins Gespräch (Geschäft) kommen will, muss sich dem anpassen. Wo sonst bekommt man Neuigkeiten aus den Lebensumständen seiner Kunden so aktuell und einfach geliefert.
Beispiel American Family Insurance
Vorsicht: Der Auftritt und das Verhalten der Versicherungsmakler in Sozialen Netzwerken sollten einheitlichen Standards folgen (Fehler nicht doppelt machen, Best Practises nutzen, keine Social Media Alleingänge von einzelnen Maklern). Versicherungen mit Maklernetzwerk sind klar im Vorteil gegenüber Direktversicherungen, denn gute Beziehungen in Sozialen Netzwerken lassen sich wesentlich leichter auf Basis einer persönlichen Beziehung etablieren.
4: Makler unter sich
Es gibt den Austausch bereits und aus der Gruppe kam wenig Bedarf und Interesse der Versicherer das weiter zu fördern.
5: Unternehmen / Makler
Web 2.0 Anwendungen sind hier sehr spannend für eine bessere Kommunikation mit den Maklern. Makler könnten wesentlich intensiver mit einbezogen werden. Z.B. bei der Entwicklung von Produkten und Marketingkampagnen .
6: Im Unternehmen
Hier kommen die klassischen Enterprise 2.0 / Intranet 2.0 Themen zum Tragen. Versicherungen beschäftigen sehr viele Wissensarbeiter und haben in diesem Bereich sehr viel Potential.
7: Alles (die Mitte)
Hier wurden viele Punkte geklebt, danach konnte sich aber keiner so richtig auf einen Anwendungsfall festlegen.
Alles in allem bieten die Punkte 1,3,5 und 6 viel Potential und konkrete Ansatzpunkte. Nicht hier berücksichtigt, aber ebenfalls spannend ist das Thema Recruiting, sowohl von internen Mitarbeitern, als auch von Maklernachwuchs über Social Media Kanäle.
Noch ein Kommentar zum Punkt 7: Hier passiert aktuell sehr viel (aber nicht direkt dem Bereich Web 2.0 zuzuordnen) bei den Versicherungen im Bereich des Customer Contact Centers. Eine der Herausforderung ist, die Synergien zwischen zentralem Contact Center und den einzelnen Agenturen zu heben (z.B. zentrale Kundenanfrage lokal weiterleiten, Beantworten des Agenturtelefons ausserhalb der Öffnungszeiten durch das zentrale Kontakt Center, usw).
Der Einsatz von Social Media ist die einmalige Chance als Direktversicherer erstmals ein menschliches Gesicht zu bekommen, aus der Anonymität hervorzutreten und anffassbar(und angreifbar) zu werden. Wir haben in sehr kurzer Zeit dadurch eine Vielzahl von Anregungen für Produkte und den Kundenservice erhalten und teilweise bereits umgesetzt.
Insb. die Präsenz auf dezentralen Netzwerken (z.B. wer-kennt-wen & gute-frage) ermöglichen einen fruchtbaren Dialog.
Negative Erlebnisse hatten unsere Web-2.0-Botschafter bisher noch nicht. Wenn jemand eine Beschwerde über das Blog an uns heranträgt oder wir an andere Stelle auf Unzufriedenheiten stoßen, dann antworten unsere Botschafter immer auf einer persönlichen Ebene. Eben als Mensch. Dieser offene Umgang wurde bisher sehr wohlwollend aufgenommen und resultierte nahezu ausnahmslos in einem freundlichen und respektvollen Austausch. Das ist zwar noch keine Markenliebe (in dieser für Markenliebe nicht gerade bekannten Versicherungsbranche) aber zwischenmenschliche Beziehungen sind mir ohnehin noch lieber.
@Carlo Bewersdorf: Danke für den wichtigen Hinweis aus Sicht einer Direktversicherung. Versicherungen mit einem Agenturmodell können jetzt im Web bestehende persönliche Beziehung auch virtuell weiter pflegen – Direktversicherungen haben mit dem Social Web nun erstmals die Möglichkeit überhaupt eine persönliche Komponente einzubringen.