Dr. Frank Schönefeld ist als CTO von T-Systems Multimedia Solutions nicht nur verantwortlich für die Bereiche Technologie und Innovation, sondern auch ein fundierter Kenner und genauer Beobachter technologischer Trends und deren Auswirkungen für Menschen und Unternehmen. Anfang Oktober ist sein Buch „Praxisleitfaden Enterprise2.0 – Wettbewerbsfähig durch neue Formen der Zusammenarbeit, Kundenbindung und Innovation. Basiswissen zum erfolgreichen Einsatz von Web 2.0-Technologien“ im Hanser Verlag erschienen. Wir haben Frank Schönefeld zum Buch, seinen Erfahrungen und zukünftigen Projekten befragt.
Eigene Erfahrungen im Unternehmen und der Community haben sie zu dem Buch bewogen. Woher kamen Inspirationen und Ideen? Können Sie uns Beispiele nennen?
Es fing 2003 mit einer frühen Installation eines Wikis an; quasi ein U-Boot-Projekt, über Nacht eingerichtet. Die Nutzung dieses Wikis hat sich eigendynamisch entwickelt bis hin zu einer geschäftskritischen Anwendung weit über die Grenzen eines Glossars hinaus: Die Application und Service Manager haben ihr tägliches Wissen im Wiki dokumentiert und auch die Schichtübergaben per Blog umgesetzt.
Später faszinierten mich die Machtergreifung der Nutzer im Web2.0 und ihre Eigenartikulierung durch User-Generated Content. Die daraus resultierenden Diskussionen um die (un-)gesteuerte Freisetzung von Web2.0-Kräften im Unternehmen, also die Frage nach Technologie und Architektur, nach der Bedeutung der veränderten Arbeitsweise für die Unternehmensentwicklung haben mich interessiert und immer wieder zu kleineren Artikeln angeregt.
Schließlich haben wir im Unternehmen den bottom-up Weg ergänzt und ein strategisch gesteuertes Projekt für ein Social Intranet durchgeführt. Die Management-Entscheidung für Enterprise2.0 war also gegeben, das Projekt hätte jedoch nicht den Erfolg gehabt, hätte es nicht ein enthusiastisches Kernteam gegeben, welches Hindernisse überwunden hat und stets das große Ziel im Auge behielt. Letztlich waren die intern gesammelten Erfahrungen wertvoll, um auch unseren Kunden praktische Hinweise geben zu können.
Auf welches Kapitel sind Sie besonders stolz?
Etablierte soziale Technologien wie Wikis und Blogs werden in 30% der Unternehmen eingesetzt. Das Medium des Buches habe ich gewählt, um diejenigen 70% der Unternehmen zu sensibilisieren, die das Thema Enterprise 2.0 noch nicht für sich entdeckt haben. Für diese Zielgruppe bieten die Kapitel über den Weg vom Web2.0 zum Enterprise2.0 ein gutes Grundverständnis darüber, was es bedeutet, wenn man Social Software ins Unternehmen holt.
Die Kenner und diejenigen Unternehmen, die Social Software bereits einsetzen, sollten sich Kapitel 4 genauer anschauen, denn obwohl in vielen Konzepten die Aussage „Social Software fördert Netzwerkeffekte“ stets zu finden ist, so ist doch selten ausführlich erklärt, was dahinter steckt. So hoffe ich, dass auch für Experten mein Ausflug in die Netzwerktheorie einen hilfreichen Input für Gespräche liefert, um zu verstehen, wie Unternehmen sich effizienter organisieren (kleine Welten, kurze Wege) und auch robuster im Wettbewerb agieren können. Robustheit kann durch lebendige Netzwerke in Organisationen gefördert werden, d.h. es bestehen intensive Verbindungen zwischen dem Management und dem Team, aber auch zwischen Mitgliedern unterschiedlicher Teams – unter Umständen auch an den Chefs vorbei.
Weiterhin finde ich es spannend, sich tiefere Gedanken zu machen, wie Web2.0 die Grenzen von Unternehmen verändert und wie eine Verkopplung von Enterprise 2.0 mit Business-Excellence-Modellen (z.B. EFQM) stattfinden kann.
Was unterscheidet ihr Buch von anderen zahlreichen „2.0“-Büchern?
In den deutschsprachigen Veröffentlichungen kommen die 2.0 Philosophie und auch umfassende akademische Abhandlungen nicht zu kurz. Andere Bücher vertiefen sich zu sehr in technologische Details. Ich denke, Unternehmen brauchen einen guten Mix: theoretische Hinleitung zum Thema, praktische Erfolgsbeispiele, Ckecklisten und konkrete Leitfäden. In den neun Kapiteln meines Praxisleitfadens versuche ich den Leser zum Nachdenken, aber auch zum Entscheiden und Handeln anzuregen: Welche sozialen Technologien sind meinem Unternehmen wichtig? Welche Handlungsfelder sind für uns relevant? Wie kann ich ein Self-Assessment durchführen, um zu sehen, welchen Reifegrad des Enterprise 2.0 mein Unternehmen bereits erreicht hat? Um die Möglichkeiten der sozialen Technologie aufzuzeigen, liefere ich 60 Einsatzszenarien (Blueprints) für verschiedene Fach- oder Querschnittsabteilungen – vom Marketing über Innovation bis hin zu Führung und Kommunikation. Alle Onlinequellen des Buches sind auch unter delicious.com/praxisleitfaden_e20 erreichbar.
Was zum Thema Enterprise 2.0 sehen Sie nach dem Schreiben des Buches anders als zuvor?
Die intensive Beschäftigung mit dem Thema hat mir gezeigt, dass es gerade in Krisenzeiten Nöte von Unternehmen gibt, auf die Enterprise 2.0 nur bedingt reagieren kann. Ich sehe daher ein Social Intranet eher als eine mittel- bis langfristige Investition, um ein Unternehmen auf die zunehmende Flexibilisierung und Anpassungsfähigkeit vorzubereiten. Es ist durchaus eine der großen, aber eben nicht die einzige Herausforderung, vor der Firmen stehen.
Außerdem hat mir das Schreiben des Buches die Erkenntnis gebracht, dass der allumfassende Integrationsansatz – also auch Social Software in Fachanwendungen wie CRM oder ERP zu integrieren, bspw. durch ein unternehmensweites Tagging über alle Systeme hinweg – wenig realistisch ist, da die technologischen Gräben derzeit einfach noch zu tief sind.
Ihr Lieblingszitat zum Thema Enterprise 2.0?
„Mit welchem Experiment könnte ich beweisen, dass meine Lieblingsidee falsch ist?“.
Dieses Zitat von R.B. Laughlin zeigt, dass man bei aller Begeisterung für das Thema Enterprise 2.0 auch einen klaren Kopf behalten und die Grenzen eines sinnvollen Einsatzes kennen muss.
Sie greifen in Ihrem Buch die fünfjährige Historie des Konzeptes Web2.0 auf, beschreiben den Weg zum Enterprise 2.0. Sind Sie erstaunt darüber, wie lange sich das Thema bereits hält?
„Ja, hält es sich denn noch?“ ist hier die Frage.
Man kann diese Entwicklungen natürlich sehr radikal bewerten, wie bspw. Steve Ballmer, der behauptet Web 2.0 sei bereits Geschichte und die eigentlichen Innovationen sind die Revolutionen der Geräte und User Interfaces – oder wie Tim Berners-Lee, der Web2.0 für einen unsauberen Sprachgebrauch hält. Nichtsdestotrotz bin ich der Meinung, dass die Entwicklungen im Internet eine qualitative Veränderung in der Wahrnehmung und Nutzung hervorgebracht haben: Im Web2.0 haben die Bewohner des Netzes sich die Technologie zu eigen gemacht und sich selbst einen digitalen (Arbeits-) und Lebensraum erschaffen. Das halte ich für einen Hauptgrund für den Erfolg des Web 2.0, die Technologie tritt schrittweise in den Hintergrund und unterstützt soziale Grundbedürfnisse (Darstellung, Austausch, Anerkennung) des Menschen.
Welche neuen Rollen oder Positionen sehen Sie in Unternehmen, die Enterprise 2.0 werden wollen?
Neue Aufgabenfelder wird es mit Sicherheit geben, was jedoch die Ausmaße im Unternehmen angeht, so behaupte ich, haben wir noch kein vollständiges Bild. Jedoch habe ich drei Bereiche identifiziert, in denen Enterprise 2.0 eine Rolle spielt und in denen es sicher auch neue Rollen und Aufgaben geben wird:
- Social Media: In der externen Kommunikation ist es, gerade für B2C-Unternehmen, wichtig, im steten Dialog mit Kunden zu stehen. Hier kann Social Software unterstützen und eine neu geschaffene Rolle, wie bspw. der Chief Social Media Officer, kann die Fäden zusammen halten.
- Interne Kollaboration: In unserem Unternehmen haben wir die Stragieentwicklung im Wiki vorangetrieben. Hier haben wir erkannt, dass neben einem mit Herzblut arbeitenden Projektteam auch eine Untersützung in der Rolle eines Wiki-Gärtners sinnvoll ist, der Anwendern hilft, Strukturen pflegt und auch mal Verbindungen zwischen Inhalten wieder richtig herstellt. Ebenso werden Content-Aggregatoren bzw. –Broker wichtig, die Inhalte zu einem Thema zusammentragen und somit auch abteilungsübergreifende Expertenteam bilden können.
- Partner Management: Im Buch habe ich es „instantane, also sofortige Zusammenarbeit“ genannt. In einer flexiblen und schnellen Wirtschaftswelt darf einer Kommunikation mit Partnern nicht erst eine lange Initialisierungsphase vorausgehen. Daher braucht der Partner-Manager (Community Manager) schnell Kommunikations- und Interaktionsmöglichkeiten, auch auf technologischer Ebene. In unserer Firma haben wir bereits über 500 Zusammenarbeitsbereiche – hauptsächlich mit Kunden, aber auch mit Partnern.
Ein genaues Verständnis über neue Funktionen und die Relevanz im eigenen Unternehmen wird sich sicher erst im Laufe der Zeit und der eigenen Erfahrungen entwickeln.
Wo kann man mit ihnen demnächst das Buch diskutieren?
Zum Thema Einführungsstrategien spreche ich Anfang November auf dem E2.0 Summit. Kurz danach tausche ich mich mit bekannten Firmen wie Lufthansa, Google, Xing oder EnBW auf dem E12-Gipfel zu den Best Practices aus. Für kommendes Jahr gibt es ebenfalls schon feste Termine, z.B. das Telekomforum im März 2010.
Lesen Sie demnächst im zweiten Teil des Interviews, wie die Einführung von Social Software gelingt, was der Social Return of Invest ist und wie Exzellenzprozesse von Enterprise 2.0 profitieren können.