Wie weiter, bevor die letzte Zeitung offline vergriffen ist

Frank Wolf —  20. Mai 2009 — Kommentieren

Soziale Software und 2.0 Prinzipien verändern unsere Kommunikation. Printmedien und Verlage gelten als besonders fragil, wenn es um Prüfstand und Zukunftsfähigkeit des aktuellen Geschäftsmodells geht. Erinnern wir uns doch noch die Vision aus EPIC2015, nach der klassische, gedruckte Zeitungen nur noch ein Privileg vereinzelter Elite sein werden. Unsere Kollegen von den Zeitungsperspektiven Thomas, Olga und Christopher beschäftigen sich mit aktuellen Trends in diesem Spannungsfeld. Ein kleiner Einblick dazu hier:

Neue Wege mit Social Software im Verlag

Die Zeitungsindustrie steht vor den vielleicht größten Herausforderungen seit ihrem Bestehen. Das hat Clay Shirky in seinem Beitrag „Newspapers and Thinking the Unthinkable“ pointiert deutlich gemacht: „There is no general model for newspapers to replace the one the internet just broke“. Diese Unternehmen können zukünftig nur wettbewerbsfähig sein, wenn sie sich den neuen Gegebenheiten, die Medienentwicklung schafft, anzupassen wissen, diese gleichzeitig aber auch ausgestalten können. Mit diesem Themenbereich beschäftigt sich intensiv unser Blog Zeitungsperspektiven.

Wenn Anpassungen an Marktveränderungen vorgenommen werden, dann müssen auch interne Neuorientierungen durchgeführt werden. Verlage müssen Prozesse neu strukturieren, Abläufe reorganisieren. Social Software zur internen Verwendung im Zeitungsverlag und hierbei insbesondere in der Redaktion kann Baustein einer erfolgreichen Zukunftsvision sein. Sie kann, so die Grundannahme von besser20, bestehende Prozesse effizienter machen und den veränderten Gegebenheiten besser anpassen helfen – und dabei echte Werte schaffen. Drei Fallstudien sollen den Einsatz von Social Software in Verlagen verdeutlichen.

Integriertes Wissensmanagement: Wiki als Wissensbasis der Redaktion

Verlage und insbesondere ihre Redaktionen sind, ähnlich wie Computer- und Softwarehersteller oder Unternehmensberatungen, „Knowledge Intensive Firms“. Das bedeutet, dass in ihnen hoch qualifiziertes Personal relativ autonom wissensbasierter Arbeit nachgeht. Social Software kann diese wissensbasierte Zusammenarbeit in und zwischen Gruppen vereinfachen und verbessern. Wissensmanagement in Redaktionen kann damit neuen Aufwind erfahren.

Welche Festlichkeiten stehen in der Region in den nächsten Wochen an? Welche Lokalgrößen haben wann Geburtstag? Wer ist der richtige Ansprechpartner zum Thema Abfallentsorgung im Kreis? Solche und ähnliche Fragen stellen sich Journalisten einer Regionalzeitung jeden Tag. Dabei finden sich die Antworten zumeist verstreut in den Notizen und Terminkalendern ganz unterschiedlicher Kollegen, fest angestellte und freie Journalisten. Gerade in Redaktionen, die oft nach dem System der Ressorts dezentral strukturiert sind, kann nicht jeder Journalist automatisch wissen, wo er diese Informationen bei Bedarf erhält. Dadurch entsteht unnötige, oft doppelte und damit ineffiziente Recherchearbeit. Ein Wiki kann als zentraler Wissenspool eine geeignete Möglichkeit sein, dieses Wissen der Journalisten an einem Ort zu bündeln. Anton Simons bloggt(e) zu dem Thema des „Redaktionellen Wissensmanagements“ und hat zudem ein Buch unter diesem Titel (2007) veröffentlicht, welches praktische Anwendungstipps gibt.

Der Nutzen eines implementierten Wikis endet jedoch nicht bei der internen Verwendung. Auch externe Stakeholder, insbesondere die eigenen Leser, können nach dem Prinzip der „Co-Creation“ in die Generierung der neuen Wissensbasis einbezogen werden. Dazu lassen sich Teile des internen Wikis für die Leser öffnen, wie es zum Beispiel die Hessische Niedersächsische Allgemeine seit 2007 mit ihrem RegioWiki praktiziert. User generieren hier weitere, wertvolle Inhalte für die Redaktion und werden somit in ein erweitertes Wissensmanagement einbezogen. Nicht nur die eigenen Journalisten vermerken demnach, wann welche Festlichkeit in der Region anliegt, sondern auch die Leser helfen als Hinweisgeber und „Informanten“. Zusätzlich entsteht neben dem eigenen Onlineauftritt ein attraktives Zusatzangebot, das auch von Lesern wahrgenommen und geschätzt wird, die nicht aktiv an der Erstellung partizipieren.

Doch Vorsicht: Besser 2.0 hat schon in der Präsentation zum „alten“ Wissensmanagement vor dem „Wikipedia-Irrtum“ gewarnt. Ein Wiki bedeutet nicht zwangsläufig, dass die Hürden, die Wissensmanagement im Unternehmen lähmen, überwunden werden – dazu bedarf es vielmehr der Integration von Social Software in die tägliche Arbeit des Journalisten und der Vernetzung der Mitarbeiter. Die reine technische Umsetzung ist auch hier nicht hinreichend. Wie kann aber eine solche Integration gelingen?

Neue Formen der (Zusammen-)arbeit: „Publish2“

Die Plattform Publish2 von Scott Karp, an der u.a. auch Journalismusprofessor Jeff Jarvis finanziell beteiligt ist, erleichtert die Recherche und das Publizieren von Artikeln und die kooperative Arbeit mehrerer Journalisten an einem Thema. Sie bietet dazu Features des Bookmark-Dienstes Delicious, jedoch speziell abgestimmt auf ein journalistisches Umfeld. Journalisten, die an aktuellen Themen recherchieren, legen relevante Onlineartikel über ein einfaches Bookmarklet in ihrer eigenen Linksammlung ab. Redaktionen können „Newsgroups“ zu aktuellen Themen erstellen, in denen sie gemeinsam Links sammeln und öffentlich oder privat kommentieren. Diese können mit den Nutzern geteilt, in andere Services, wie die eigene Website, eingebunden oder über Twitter und Blogs verbreitet werden. Die Aggregation von Informationen ist gerade bei Krisen oder aktuellen Themen, die sich rasant entwickeln, wichtig, um Aktualität zu garantieren. Durch die qualitative Sammlung und Bewertung von Informationen aus verschiedenen Quellen schafft die Redaktion damit einen Mehrwert für die Nutzer. Wie Publish2 die Zusammenarbeit zwischen Journalisten verbessern — „revolutionieren“ — kann, zeigt eindrücklich das Beispiel einer „Cross-Newsroom Cooperation“. Auch Nutzer selber können Artikel zu Newsgroups hinzufügen und somit erneut Teil einer ko-kreativen Wertschöpfung werden.

Publish2 ist ein Beispiel, wie Tools des Social Webs interne Routinen effizienter gestalten können. Es trägt zum internen Wissensmanagement bei (siehe oben), vereinfacht aber auch die alltägliche Arbeit des Journalisten und vernetzt ihn mit seinen Kollegen und Stakeholdern. Features von Publish2 sollten daher als Bausteine im Redaktionssystem einer Zeitungsredaktion in Zukunft zum Standard gehören.

Neue Möglichkeiten auf dem Weg zum crossmedialen Medienhaus: „Mobiler Reporter“

In dem Rahmen, in dem Verlage neue Geschäftsmodelle für die Zukunft entwickeln, ist auch die Integration von (regionalen) Video- und Audioinhalten ein immer wieder thematisierter Ansatz. Auf dem Weg zum crossmedialen Medienunternehmen ist dies ein elementarer Baustein. Problematisch bleibt dabei, dass in vielen, gerade kleineren Zeitungshäusern (die in Deutschland das Gros der Tageszeitungen publizieren) die Infrastruktur für eine solche Integration fehlt.

Eine interessante Lösung für diese Verlage stellt der Mobile Reporter dar. Das System ermöglicht es Journalisten, Videostreams live von ihrem Mobiltelefon auf eine Website zu übertragen. Neu ist diese Idee nicht — Qik (auch zusammen mit Mogulus) bieten dies bereits seit längerem an. Neu ist jedoch die Professionalität des Angebots: So garantiert der Mobile Reporter hochwertige Streamqualität, offeriert ein Online-Regiestudio und wird daher speziell im B2B-Bereich vertrieben.

Mit dem Mobilen Reporter eröffnet das Mobiltelefon, schon heute regelmäßiger Begleiter jedes Journalisten, neue Möglichkeiten, um publizistisch tätig zu werden – und erweitert gleichzeitig auch das journalistische Berufsprofil. Verlage bilden ihre Journalisten somit auf relevanten Zukunftsfeldern weiter.

Fazit

Unsere drei Fallbeispiele haben ganz unterschiedliche, interne Einsatzmöglichkeiten von Social Software für Verlagshäuser gezeigt, die sich bereits im praktischen Einsatz beweisen konnten. Diese Exempel bilden sicherlich nicht die Bandbreite aller Einsatzmöglichkeiten von Social Software im Verlag ab, sie können aber Einblicke geben, was heute möglich ist und morgen vielleicht zum Standard gehören wird. Deutlich ist außerdem geworden, dass interne Tools in Zeitungsverlagen immer auch einen parallelen Einsatz „nach außen hin“ finden können – und damit zusätzlichen Nutzen stiften, ob als Wiki, Linkaggregator oder neue Form der crossmedialen Informationsvermittlung.

Thomas Müller
Christopher Buschow

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