Sieben Gründe warum Social Software die E-Mail nicht ablösen wird

Frank Wolf —  6. August 2012 — 10 Comments

Als E-Mail würde ich mich ungerecht behandelt fühlen. Seit fast 20 Jahren ist die elektronische Post als Fundament von Wissensarbeit weltweit flächendeckend im Einsatz und laut Wikipedia noch vor dem World Wide Web der meistgenutzte Dienst des Internets. Keiner kann sich heute mehr vorstellen, wie man einen normalen (Büro-)Arbeitstag ohne E-Mail bewältigen könnte. Aber statt Dankbarkeit schlägt ihr vor allem Feindseligkeit entgegen, denn Sie ist zum Inbegriff von Informationsüberlastung geworden. Der Spiegel titelt „E-Mails? Nein Danke!“ und spricht von einer Brückentechnologie, die wir nur noch wenige Jahre ertragen müssen, denn die weit überlegenen Alternativen sind ja schon in Sichtweite.

Kein Wunder, dass ein immer wieder gern benutztes und gern gehörtes Argument für Social Collaboration Lösungen, die zu erwartende deutliche Reduktion des E-Mail Aufkommens ist. Einige gehen sogar noch weiter und streben den kompletten Ausstieg aus der E-Mail Kommunikation in den nächsten drei Jahren an.

Der Tod der E-Mail steht also kurz bevor? Ich denke nein. Hier sind meine Gründe:

1. Als Informations-Hub eher wichtiger

Die Nutzung von unternehmensinternen und -externen Social Media Plattformen führt zumindest mittelfristig zu mehr E-Mails, denn die zahlreichen Benachrichtigungen (Neuer Beitrag in deiner Gruppe, Kontaktanfrage, etc) der verschiedenen Plattformen brauchen die E-Mail als zentralen Kommunikationshub. Theoretisch könnte das langfristig zurückgehen, wenn man sich immer mehr auf ganz wenige Plattformen beschränkt und dort dafür öfter direkt vorbeischaut. Im Web hat Facebook diesen Status sicher schon für einige, intern ist man davon noch weit entfernt. Wenn es eine Social Business Suite gibt, dann ist die meist noch sehr entkoppelt von weiteren Anwendungen und damit noch kein Platz, der Informationen bündelt, sondern „nur“ eine weitere Informationsquelle.

2. Grenzenlos und nun auch rechtssicher

E-Mails basieren auf einem einheitlichen Standard, der über Unternehmensgrenzen hinweg weltweit reibungslos funktioniert. E-Mails können mittlerweile auch für rechtssichere Kommunikation eingesetzt werden und sind relativ einfach auf verschiedenen Wegen durch mobile Endgeräte abrufbar.

3. Bei den Nutzern bestens bekannt

Forrester hat in seiner Workforce Employee Survey, Q4 2011 743 „Heavy Social Software User“ vor die Wahl gestellt, ob sie in verschiedenen Szenarien der Kontaktaufnahme eher auf E-Mail oder Social Media setzen würden. Dieser Vergleich ist klar für die E-Mail entschieden worden. Forrester versucht in diesem Report auch eine Antwort auf dieses Ergebnis zu finden und beschreibt einen „Convenience“ Indikator, der aus Nutzenfaktoren und Barrieren für die Nutzung einer bestimmten Technologie besteht. Zusammengefasst ist die Aussage: E-Mail kann vor allem bei den nicht vorhandenen Barrieren punkten: jeder kennt sie, jeder hat sie, jeder kann sie bedienen und sie ist in die meisten Prozesse und Anwendungen sehr gut integriert.

4. Social Messaging gegen Email – in der Funktionalität wie David gegen Goliath

Wer die bestehenden Direct Message Funktionalitäten einer Social Business Plattform als geeigneten E-Mail Ersatz betrachtet, der sollte  einfach mal  ein Mail-Programm wie Outlook und seine Breite  an Funktionalitäten betrachten. Allein von Standardfunktionen wie der E-Mail/ Kalender Integration oder einem Abwesenheitsassistenten sind gängige Social Messaging Lösungen weit entfernt.

5. Die Digital Natives schreiben auch Emails

PWC hat in seiner Social Media Deutschland Studie 2012 die Frage gestellt: „Wie häufig machen Sie typischerweise die folgenden Dinge, wenn sie ins Internet gehen?“ Bei den nach Alter geclusterten Antworten gibt die jüngste Gruppe (12-15 Jahre) an, bei 90-100% der Besuche zu chatten, E-Mail folgt mit 80-89% knapp auf Rang zwei. In allen anderen fünf Altersgruppen ab 16 Jahren aufwärts, liegt die E-Mail mit 90-100% auf Platz eins.

6. Wir kennen aktuell nichts Besseres

Jeder der täglich 60 (beliebige Zahl) oder mehr E-Mails erhält, klagt über die Flut an Arbeit und Informationen. Andererseits schaffen wir es mit diesen 60 E-Mails unseren Arbeitsalltag zu organisieren. Wenn die Mails abgearbeitet sind, dann ist die Kommunikationsarbeit erst mal erledigt. Es gibt meist nicht noch 20 Faxe oder Briefe, die beantwortet werden müssen. So gesehen ist E-Mail der aktuell effizienteste Weg mit unseren steigenden Kommunikationsanforderungen gerade in einer stark räumlich verteilten Arbeitswelt klarzukommen. Neue Ideen wie Google Wave waren auf den ersten Blick zwar smart, haben aber die Informationsflut eher noch verstärkt  als gefiltert. Ja, E-Mails sind ein Indikator für hohe Arbeitslast, aber nicht ursächlich dafür verantwortlich. Also „don’t shoot the messenger“.

7. „Und“ statt „oder“

E-Mails sind ein sehr effizientes 1 zu 1 Kommunikationsinstrument. Für die offene Kommunikation in größeren Gruppen bringen dagegen Social Business Plattformen deutlich bessere Anlagen mit. Hier liegt auch das Potential z.B. in großen Projekten weniger E-Mails zu schreiben und die Kommunikation weitestgehend in einem virtuellen Projektarbeitsraum abzuwickeln. Ein weiterer Ansatz sind Firmaxy@all Mails mit Fragen an die gesamte Organisation. Ein toller Anwendungsfall für ein Social Intranet. Viele Anwendungsfälle, die wir heute mit E-Mails abdecken, sind mit andern Tools (z.B auch Chats etc) besser abzubilden, aber bei weitem nicht alle.

Fazit

E-Mails werden noch viele Jahre das primäre schriftliche Kommunikationsmedium im Unternehmen bleiben. Wer heute von ihrem baldigen Ableben und Brückentechnologie spricht, der sollte sich die Alternativen am Horizont genau anschauen. Ich sehe noch keinen Ansatz, der in der in der 1:1 oder n:n (mit n<4) Kommunikation ähnlich breit aufgestellt ist und deutlich effektiver funktioniert. Schon aus Gründen eines guten Erwartungsmanagements sollten sich Social Business Initiativen mit Ansagen zur E-Mail Ablösung sehr zurückhalten und sich stattdessen fragen, wie eine gute und smarte Integration und Arbeitsteilung zwischen beiden Welten aussehen kann.

Fehlen hier weitere Gründe, oder liege ich falsch? Ich freue mich auf Kommentare.

10 responses zu Sieben Gründe warum Social Software die E-Mail nicht ablösen wird

  1. Auch ich bin der Meinung, dass interne E-Mails auf absehbare Zeit nicht vollständig aus dem Unternehmensumfeld verschwinden werden. Selbst der bekannte Vorreiter Luis Suarez (IBM) lebt nicht 100 % emailfrei. Für asynchrone persönliche (und relevante) Nachrichten ist E-Mail nach wie vor unverzichtbar, ebenso eignet es sich — wie dargestellt — als Werkzeug für Benachrichtigungen aus ausgewählten Quellen (Stichwort BACN). Allerdings bietet sich durch die Verlagerung von Kommunikation auf Plattformen signifikantes Potential für eine Reduzierung. Leider wird E-Mail vielfach mangels Alternativen (oder aus Macht der Gewohnheit) zum Kommunikationswerkzeug für alle Arten von Informationen bzw. gar als persönliches CMS missbraucht. Hierfür gibt es mittlerweile effektivere Ansätze, die den Mitarbeiter effizienter mit den für ihn relevanten Informationen versorgt und zugleich die Teilung von Informationen, d.h. den Wissensfluss sowie letztendlich auch die Vernetzung der Mitarbeiter fördern. Leider verliert eine Organisation mit dem Ausscheiden eines Mitarbeiters nicht nur seinen Kopf sondern meist auch die in seinen E-Mails abgelegten Informtaionen.

    Einen guten Ansatz über E-Mail den Einstieg ins Social Business zu finden bietet folgender sehr lesenswerter Blogpost http://community-roundtable.com/2012/07/start_with_email/.

  2. Es scheint in den letzten Tagen ein Hoch bezüglich Todsagungsbekundungen der E-Mail zu geben. Finde die genannten Punkte gut und nachvollziehbar. Ich fühle mich ein wenig in die Zeit zurückversetzt, als das papierlose Büro propagiert wurde…

    Die unterschiedlichen Kommunikationsformen von E-Mail und Social Software sollten doch eigentlich für jeden ersichtlich sein. Aber vielleicht ist es die Tage nur ein Sommerlochthema.

  3. Die Problemstellung ist aus der Wissensmanagement-Forschung bekannt: Der große Nachteil einer E-Mail besteht darin, dass nur die Empfänger selbst die jeweilige Information lesen können.
    – Nur erreicht man mit einer E-Mail nicht immer alle potentiell relevanten Empfänger.
    – Weiters ist der Inhalt einer Mail nicht immer für alle Empfänger relevant.
    – Außerdem sind gesendete Emails nicht zentral durchsuchbar (sondern nur individuell).

    Oftmals ist es sinnvoll, dass potenziell jeder Mitarbeiter eine Nachricht lesen kann, aber ein engerer Lesekreis an Mitarbeitern explizit dazu informiert wird. Das ist bei offener und transparenter Kommunikation ala Social Media der Fall.

    Die größte Problematik bei Email sehe ich in der fehlenden Durchsuchbarkeit. Ich kann zB nicht alle Emails aller Mitarbeiter einer Organisation nach bestimmten Inhalten durchsuchen. Somit wird das Rad dann x-Mal erfunden…

  4. Die Landschaft an Informationssystemen befindet sich ständig im Fluss und ist auch nicht frei von Redundanzen.

    Auch die Affinität zu einer bestimmten technischen Lösung ist bei den verschiedenen Nutzergruppen unterschiedlich. So wird die E-Mail noch lange Freunde haben.

    Die fehlende Durchsuchbarkeit ist nicht wirklich dem Medium E-Mail anzulassten. Technisch ist dies kein Problem. Der Knackpunkt ist die unzureichende Trennung von Privatssphäre und Team-relevanten Informationen. Hier können Ordnerstrukturen helfen. Das erfordert allerdings Disziplin. An dieser Stelle liegt für mich der Wert von Enterprise2.0-Lösungen. Sie geben einen strukturellen Rahmen für die Zusammenarbeit vor. Das kann E-Mail nicht leisten. Für das Individuum ist die E-Mail deshalb trotzdem eine wichtige Informationsquelle.

  5. Vielleicht angestachelt durch meine Allergie gegen Artikel, TV-Sendungen etc., die mit „die 10 besten, die 5 schlimmsten, die 20 neusten“ usw. beginnen, möchte ich hier gerne widersprechen.

    Ich stimme zu, das der E-Mail Tod nicht kurz bevor steht. Trotzdem ist mir die Formulierung „nicht ablösen wird“ zu absolut. „nicht so schnell ablösen wird“ wäre da meiner Meinung nach zutreffender.

    Für mich sind die genannten Punkte richtig als Hürden benannt. Mehr aber auch nicht. Es sind Herausforderungen, die zum Nutzen aller mit realistischer Aussicht auf Erfolg angegangen werden können.

    Das Ziel ist dabei eine neue Form der Kommunikation mit einem allgemein verständlichen und von jedem einfach einsetzbaren Tool, das die Vorzüge aller Vorgänger vereinen kann. Auch das bei mir so beliebte Microblogging läßt doch die direct message zu, die Informationen schön versteckt hält. Der fehlende Outlook Komfort drumherum sollte sich doch noch (vielleicht sogar intelligenter) einbauen lassen. Und warum soll eine Rechtssicherheit nicht auch außerhalb der klassischen Mail erreicht werden können?

    Aus meiner Sicht fehlt es aktuell an Hybridanwendungen, die Informationen je nach Anwendungsfall auf die e-Mail Schiene setzen, als Microblog herausblasen oder (z.B. als Frage) in ein Forum stellen (oder auch „Quora) etc. Momentan muss ich dazu zwischen mehreren Welten springen, die nichts mit einander zu tun haben wollen. Bei Autos geht das mit Gas und benzinb doch auch.

    Wenn sowohl die e-Mail Verfechter als auch die Social Media Kämpfer einmal die Waffen beiseite legen würden und sich mit den Anwendungsfällen der „Gegner“ ernsthaft und wohlgesonnen beschäftigen würden, käme vielleicht etwas dabei heraus, das dem Nutzer in einem einzigen Tool die e-Mail noch erlauben würde aber auch schon die schöne weite Welt des Microblog und Tagging etc. anbieten würde.

    Im übrigen ist es ein typisches Merkmal disruptiver Innnovationen, dass sie zu Beginn aufgrund unzureichender Leistungsfähigkeit auf dem Gebiet etablierter Konkurrenzprodukte unterschätzt werden. Daran ist schon Leika fast zugrunde gegangen, als sie meinten, die Digitaltechnik könnte nie die Analogtechnik ersetzen.

    Falls der Blogpost jedoch gezielt provozieren wollte, ist dies bei mir jedenfalls hervorragend gelungen 🙂

  6. Danke für die spannenden Kommentare!

    Ich habe extra noch überlegt, ob „nicht so schnell ablösen wird“ nicht besser ist. Aber das wäre aus meiner Sicht genau das Problem: Social Software wird einiges, was wir heute per E-Mail machen übernehmen können und besser machen, aber nicht alles und das auch nicht langfristig.
    Wir tun disruptiven Innovationen sicher nicht gut, wenn wir sie nicht realistisch einschätzen und Erwartungshaltungen bei Nutzern erzeugen, die nicht haltbar sind.
    Ps: ein guter Artikel soll doch provozieren, oder? 🙂

  7. Der provokante Titel passt schon 😉

  8. Katharina Simon 2. September 2012 at 22:33

    Email ist der persönlichen Kommunikation zumindest momentan nicht zu übertreffen. Der totgesagte Brief lebt ebenfalls auch noch, weil wir als humane Wesen Entscheidungen eben nicht logisch treffen (wir tun nur gern so). Wenn Kollaborationsanwendungen dort genutzt werden, wo sie Sinn stiften und Projektkommunikation z.Bsp. nur noch im Blog oder Wiki stattfindet, wird die Email wieder mehr geschätzt werden, weil wir dann nur noch 10 statt 200 Emails pro Tag bekommen. Wie mit den Briefen, seit dem diese weniger werden, ist ein handgeschriebener Brief Luxus und nicht Belastung.

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  1. E-Mail im Unternehmen – Ein weiterer Ansatzpunkt für Enterprise 2.0 « Schaeferblick Weblog - 26. August 2012

    […] früheren Blogpost beleuchtet hatte und denen sich kürzlich auch der „Besser2.0 Blog“ in einem Beitrag gewidmet […]

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